Mein Wesen, mein Sein, mein Innerstes. Es denkt, es dürfe die Augen nicht verschließen vor den Gräuel dieser Welt. Selbst, wenn es schwer ist. Man möchte sich nicht gerne damit belasten, hat aber dennoch das Gefühl, es sei eine Pflicht, die man erfüllen müsse. Jener zumindest, dem es möglich ist, habe diese Pflicht, mit wachem Verstand und offenem Auge die Welt als Ganzes zu begreifen; mit all ihren Errungenschaften, aber eben auch allem Unrecht, das noch immer auf ihr lastet. Denn nur so kann sich langsam etwas an den Missständen ändern. Wenn sie weiter im Verborgenen der großen Masse derer blieben, die durch den Zufall ihres Geburtsorts die Mittel hätten sie zu ändern, wird jedoch nichts passieren.
Aber wie schwer ist das zu ertragen.. Vielleicht ist unser menschlich Hirnelein noch nicht dafür gemacht. Wir sind noch immer die Jäger und Sammler von damals, deren Horizont kaum über die nächste Tiefebene hinaus reicht und deren Welt mit allem, was ihnen lieb und wichtig ist, sich in einem kleinen Kreis, einer kleinen Gruppe abspielt. Alles außerhalb ist unbekannt und potentiell gefährlich, und ergo feindlich. Unser Denken mag sich in dieser Hinsicht gewandelt haben. Aber der Prozess scheint mit Nichten abgeschlossen.
Wir wollen sehen was außerhalb liegt. Und wir wollen jenem Neuen, so gut es uns eben möglich ist, vorbehaltlos die Hand reichen und auch Ängste und Nöte des Neuentdeckten ernst nehmen, um sie gemeinsam abzubauen. So, wie auch wir mit unseren Sorgen gerne ernst genommen werden möchten. Aber die Gesamtstruktur unseres Denkapparats scheint noch nicht vollends dazu bereit zu sein. Wir kommen mit der Flut des Unrechts nicht klar. Depressiven Menschen wird nachgesagt, sie seien depressiv, da sie sich zu viele Gedanken machten. Natürlich. Es mag vielleicht nicht die Ursache sein, geht aber doch sehr häufig einher mit einer Depression. Sie machen sich „zu viele“ Gedanken? Aber was soll das für eine Entschuldigung sein, sich keine Gedanken zu machen und einfach weiter egozentrisch (oder zumindest „erstWeltZentrisch“) vor sich hin zu leben?
Eine Schaar von depressiven Menschen, die sich ob einer übermannenden (oder zumindest lauteren) Masse an AfD-, Trump-, Busch- oder Putin-Wählern beinah machtlos fühlt, wird die Welt wohl auch nicht ändern können. Weswegen sich so manche Depression ja überhaupt erst ergibt. Es ist die Ohnmacht, der Kontrollverlust, der schwer erträglich ist. Auch wird es für sie nicht eben leichter sein, ihren Gedanken in die nächsten Generationen weiterzutragen, da sie entweder nicht willig sind ihre Kinder in eine trostlos ungerechte Welt zu schicken, oder sich sogar überhaupt nicht erst auf einen Partner einlassen.
Wobei man natürlich auch anerkennen muss, dass die Welt sich bis dato schon deutlich gewandelt hat. Es gab viele soziale Erfolge und ein Bewusstwerden der Dringlichkeit für mehr Humanität/Menschlichkeit und Einklang mit der Natur. Aber es liegt wohl nach wie vor ein langer Weg vor uns, der noch beschritten werden will – und muss.
Die Welt wird nicht mehr in meiner Generation gänzlich gerecht und „menschlich“ werden. Vielleicht sogar niemals. Aber es muss zumindest weiter darauf zugesteuert werden. Erklärtes Ziel könnte also sein, den Altruismus, die eigenen Gedanken und Wünsche in die nächsten Generationen zu tragen und so zu mehren. Der Wille und Mut über den Tellerrand zu schauen darf nicht wieder aussterben.
Allerdings bedeutet dies, dass man seinen Kindern von Anbeginn eine schwere Bürde mit auf den Weg gibt. Denn leichter und unbeschwerter lässt es sich in der heutigen Zeit eben leben (zumindest in meinem Fleckchen Heimat), wenn man sich vornehmlich auf den eigenen Teller konzentriert. Das ist traurig und beschämend. Aber wahr. Zumindest, nach meiner Erfahrung und meiner momentanen Sicht der Dinge…
– © Ben Bayer (21.3.2016)