Konsumparasiten der Naturästhetik

Konsumparasiten der Naturästhetik

Wir sitzen auf dem Balkon hinterm Haus. Unseren Blick auf den großen Garten und die dahinterliegenden, weiten Felder gerichtet. Um uns herum erklingt Vogelgezwitscher. Dabei sticht besonders der melodische Singsang der Amsel heraus. Wir lauschen andächtig der akustischen Grazie, die uns von der Natur dargeboten wird. Wir selbst schweigen still und verharren ruhig auf unseren Balkonstühlen.

Mit einem Mal hebt er den Blick leicht, und seine Mimik verändert sich. Offenkundig erfasst ein Gedanke seinen Geist, der nun sortiert, geformt und zurecht gefeilt wird. Ein Grinsen okkupiert sein Gesicht, als das Werk zur Verlautbarung bereit ist.

„Wir sind Konsumparasiten der Naturästhetik.“

– Johannes Müller (2017)

Die Amsel singt einfach. Sie singt für uns und singt für jedermann. Sie sänge sogar, würde überhaupt niemand zuhören. Sie trällert einfach vor sich hin. Ganz ungeachtet dessen, ob ihre Anstrengungen wahrgenommen werden, noch von wem. Oder, ob das, was sie kundtut, gar einen ihr dienlichen Effekt hervorrufen wird. Und dieser ausdauernde Gesang muss viel Energie kosten. Energie, die sie nach dem Konzert, durch entsprechend ausgedehnte Nahrungssuche, wieder sammeln muss.

Und wir? Nun, wir sitzen hier auf dem Balkon in der Sonne, auf weichen Kissen gebettet. Wir fügen diesem akustischen Ausläufer der Ästhetik unserer Natur nichts hinzu. Noch lassen wir uns zu irgendeiner Gegenleistung bewegen. Wir lauschen nur. Wir konsumieren.

Und das ist wunderschön! Es ist ein großes Privileg, dass wir Geschöpfe sind, die das Gespür, für diese Schönheit um sich herum, ihr eigen nennen dürfen.

Aber weshalb genau empfinden wir die Natur als schön? Weshalb genießen wir sie, wenn sie uns umgibt? Ist es ein romantisiertes Denken in einer zunehmend technisierten Welt? In solch einer Welt werden derartige Momente schlicht rarer, und dadurch wertvoll. Ist es eine innere Verbundenheit mit unseren Ursprüngen? Die Suche nach der eigenen Herkunft, wenn man so will. Oder liegt der Natur schlicht eine inhärente Schönheit inne? Völlig losgelöst von der Existenz eines konsumierenden Beobachters.

Letzteres ist unwahrscheinlich, denn jede Schönheit liegt wohl tatsächlich im Auge des Betrachters. Der Blickwinkel ist entscheidend:

Die Amsel singt geschäftig, das freut den Parasit.
Wenn Amsel sich dann kräftigt, dem Wurm graut’s und er flieht.

Schönheitsempfinden ist sicher teils antrainiert. Aber es muss wohl auch etwas in unserem Innern sein, oder in unserer Verbindung zur Natur, das uns sie als schön empfinden lässt. Natürlich nicht immer und überall. Wir haben auch Demut und Respekt, und manchmal fürchten wir uns sogar vor ihr. Sie kann majestätisch und imposant sein, roh, wild und gewaltig. Doch wir sind stets neugierig, und lassen uns immer und immer wieder von der Natur faszinieren.

Auf unserem sonnenbeschienenen Balkon, lehnen wir uns erneut zurück, um weiter zu lauschen, zu genießen und zu staunen.

– Ben Bayer (16.4.2017)

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Kreis des Lebens

Kreis des Lebens

Dem Blattwerk des Vorjahrs hatte der Herbst allmählich das Leben ausgehaucht. So hing, und fiel, und lag es denn, und sollte sich nunmehr aus eigener Kraft nicht weiter rühren. Für einen langen Winterschlaf bettete das greise Jahr seine welken, braunen Gerippe zur frostigen Ruh‘.

So zogen die Tage und Nächte ins Land, während im Winterquartier geruhsam Kraft geschöpft wurde.

Allmählich ließ die Sonne ihr wohlig-warmes Feuer wieder länger überkopf der verschlafenen Überreste lodern. Behutsam versuchte sie das schlummernde Leben aufs Neue zu erwecken. Unaufhaltsam schoben die wachsenden Tage ihre Temperaturen immer weiter die Skalenleiter hinauf, bis endlich das Leben zögerlich ins neue Jahr blinzelte.

Vorsichtig, und gleichwohl kraftvoll, betritt der saftig-grüne Frühling die Freilichtbühne. Er darf das Ende der langen, kalten Nacht nun endgültig einläuten. Er lässt das Leben im sprießenden Blattwerk von neuem erblühen.

Das Alte; es ist nicht mehr. Es hat der Veränderung Platz gemacht. Und so konnte sie das Neue gebären. Doch bald wird auch das Neue seine Jugend verloren haben, um im greisen Alter abermals den Kreis zur Veränderung zu schließen.

– © Ben Bayer (23.3.2017)

Abschalten

Abschalten

Er tänzelt durch die Reihen der Kommentatorinnen und -tatoren, wirbelt dabei um die eigene Achse, und konzentriert sich ganz auf den schönen Moment, der ein Gefühl von verträumter Freiheit mit sich bringt. So kann er vorübergehend die nervigen Ansichten anderer vergessen machen, und sie aus dem, für ihn manifesten, Jetzt vertreiben. „Tüdellüd.. Tschüüs erstmal!“ Mit diesen Worten pirouettiert er davon und ward in der hitzigen Diskussion wenigsten bis zum folgenden Abend nicht mehr gesehen.

– © Ben Bayer (5.12.2016)